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Böhm, Hartmut


*1938

Name: Böhm, Hartmut
Lebensdaten: *1938
Geburtsort: Kassel, Deutschland, 19.4.
Beruf: Zeichner, Bildhauer


Böhm, Hartmut, dt. Bildhauer, Zeichner, *19.4.1938 Kassel, lebt in Lünen/Westfalen und Saarlouis. Stud.: 1958-62 HBK Kassel bei Arnold Bode. Bereits ab 1959 entstehen erste systemat. Reliefs, bei denen die Anordnung gleichartiger Gestaltungselemente durch numerische oder geometrische, vom Betrachter jederzeit nachvollziehbare Kompositionsprinzipien erfolgt. In die Gestaltung wird dabei schon früh die Möglichkeit wechselnden Lichteinfalls einbezogen (Relief – Serielle Konstruktion von Kreisen und Geraden, 1960; Besitz des Künstlers). Die konstruktiv-seriellen Strukturuntersuchungen einfacher geometrischer Bildelemente werden seit 1961 in Gem. und Graphiken weiterentwickelt, wobei das jeweilige kompositor. Verfahren durch die Überlagerung, Verschiebung, Drehung oder Teilung der Grundformen und Farbfelder charakterisiert ist: Gestaltungsergebnis ist mithin eine "lückenlos kalkulierte anordung von elementtypen mit hilfe bestimmter, frei gewählter operationen" (E.Gomringer, 1977). Bereits in diesen frühen Werken, etwa im Gem. Zentrale Progressionen von 1962 (Humlebaek [Dänemark], Louisiana Mus. for Mod. Kunst), klingt mit der progressiven Abfolge einzelner Gestaltungselemente innerhalb des gewählten Variationsschemas ein ästhet. Leitmotiv an, das in der künstler. Arbeit späterer Jahre zentrale Bedeutung erlangt. 1963-70 Arbeit als Kunsterzieher in Fulda; 1969 kurzzeitig Gast-Doz. der Kasseler HBK. Die Anordnungs- und Variationsprinzipien der frühen Werkphase münden ab M. der 60er Jahre folgerichtig in B.s Beitrag zur kinet. Kunst und zur Op-Art. Seit 1964 wird das konstruktive Prinzip der Lageveränderung geometr. Grundformen mit kinet. Objekten weiterverfolgt: So werden etwa im Kinet. Relief HF 8 von 1965 (Purchase, Neuberger Mus. of Art) gleichartige Formelemente in ein Quadratraster eingefügt, wobei mit Hilfe motorbetriebener Magnetscheiben eine sich stetig verändernde Oberflächenstruktur erzeugt wird. Visuelle Mehrdeutigkeit entsteht seit 1966 in einer Reihe von Quadratreliefs aus Plexiglas, bei denen der Wechsel innerhalb der jeweiligen Schattenkonstellation nunmehr einem variablen Lichteinfall geschuldet ist, der, wie etwa im Quadratrelief 7 von 1967 (Recklinghausen, Städt. Kunsthalle), charakterisierende Beleuchtungssituationen in die Gestaltung einbezieht und gelegentlich sogar einer programmgesteuerten Lichtführung unterworfen ist. V.a. in den ab 1969 entstehenden Raumstrukturen wird darüber hinaus auch der wechselnde Betrachterstandort zum Bestandteil eines ästhet. Programms, in dem sich zugleich die gesellschaftspolit. Aufgabe ausspricht, der sich die konstruktiv-systemat. Kunst der 60er Jahre gewidmet hatte: "Meine Arbeiten sind zu verstehen als didakt. Modelle, die erst in ihrer aktiven Aneignung real präsent sind. ... Die Wahrnehmbarkeit der Objekte ist demnach ihr eigentliches Thema, das Ziel ist die Verringerung der Distanz zw. Künstler und Betrachter durch Einsicht in den operationalen Prozeß" (Schmied, 1974). Seit 1970 Doz. an der Werkkunstschule Dortmund, 1973 Professur. Die Arbeit an seriellen Reliefs, mit denen B. die Möglichkeiten systemat. Form- und Volumenentwicklung am Beispiel von Würfel und Quadrat analysiert (Würfelentwicklung 1:1000, 1974, Hagen, Karl Ernst Osthaus-Mus.), führt zur gestalter. Reduktion der Streifenreliefs. Mit äußerster formaler Strenge ziehen die ebenfalls in Plexiglas gefertigten Werke dieser Arbeitsperiode bis 1979 eine erste Summe der bisherigen ästhet.-theoret. Problemstellungen und ihrer künstler. Lösungsansätze: Drehung, Höhenstufung, Abstandsänderung sowie die Stufung des Reliefgrundes thematisieren innerhalb dieser Werkgruppe serielle Ordnungsprinzipien, aber auch die Bedeutung von Lichteinfall und Betrachterstandort für die Mehrdeutigkeit visueller Erfahrung (Streifenrelief 2, 1972-73; Ingolstadt, Mus. für Konkrete Kunst). Erhält 1975 für diese Werke den Kunstpreis der Stadt Gelsenkirchen. Hatte B. die Werkentwicklung seiner bildhauer. Arbeit stets auch mit selbständigen graph. Bll. begleitet, so gewinnt sein zeichner. Schaffen mit den Bleistiftlinien-Programmen von 1972-77 eine besondere Qualität: Gestalter. Grundsatz dieser Bll. ist es, einfache serielle Ordnungsprinzipien wie Linienabstand, Verdichtung, Gruppierung, Drehung oder progressive Stufung mit Hilfe der versch. Härtegrade des Zeichenstiftes systemat. zu variieren. In B.s plast. Werk vollzieht sich etwa ab M. der 70er Jahre ein Wandel, der zu neuen Materialien (Stahl, Spanplatte), v.a. aber zu einer konsequenten Revision der themat. Umfangsbestimmung führt. Eine kleine Werkgruppe konkreter Wand- und Bodenarbeiten von 1974 markiert diesen Übergang: Aufbauend auf den systemat. Untersuchungen geometr. Grundformen wird das Prinzip serieller Reihung in Frage gestellt und zum Konzept der Progression gesteigert (Progression gegen Unendlich, 1974; Bes. des Künstlers). Eine folgerichtige Konzentration nimmt in den nächsten Jahren zunächst die geometrische Einzelform stärker in den Blick und thematisiert in der Werkgruppe der Gegenüberstellungen die ästhet. Möglichkeiten von Flächenteilung und Flächenkongruenz: So wird in der Wandarbeit Gegenüberstellung 14, I von 1979-81 (Mönchengladbach, Mus. Abteiberg) aus einer Quadratform ein flächengleiches Parallelogramm entwickelt, wobei eine jede der Einzelformen graph. so unterteilt wird, daß die Kongruenz der Flächen und das Wechselspiel von Umriß und Binnenform thematisch werden: Daß die einzelne Arbeit bei strenger systemimmanenter Logik zunehmend freiere, durch Mehrteiligkeit und aufgebrochene Umrisse geprägte Werkgestalt erhält und die Didaktik serieller Reihung zugunsten eines subtileren Reflexionsangebots verliert, ist Gestaltungsergebnis dieser Werke bis in die M. der 80er Jahre. Auch für das graph. Werk dieser Zeit ist eine größere Vielfalt der künstler. Mittel zu verzeichnen, und die Themen von Teilung und Gegenüberstellung werden in Schnittzeichnungen und Collagen, aber auch in raumbezogenen Wand- und Fräslinienzeichnungen bearbeitet. Haben schon die geschlossenen Regelsysteme des Frühwerks das Strukturprinzip progressiver Abfolge thematisiert, so wird daraus in den Werken der letzten Jahre das Konzept der offenen Struktur einer Progression gegen Unendlich erarbeitet. Aus den Flächenteilungen entwickelt, bringen diese zumeist aus Stahl gefertigten Wand- und Bodenarbeiten, aber auch die sie begleitenden zeichner. Äußerungen etwa ab 1981 einen Werkbegriff zur Anschauung, mit dem die ästhet. Grundsätze konstruktiver wie konkreter Kunst überschritten werden. Ergebnis ist ein offenes Komp.-Prinzip, das dem Künstler vielfältige Variationen, die Reduktion auf einzelne Parameter sowie die Integration konkurrierender Systeme erlaubt (Progression gegen Unendlich mit 15° – vertikale Parameter, 1988/89; Reutlingen, Stiftung für konkrete Kunst). Die konstruktive Strenge des jeweiligen Entwurfs und der ästhetische Nachvollzug eines nur denkbaren, über die konkrete Erscheinung des Werks hinausgehenden Prinzips, mit dem B. die "Grenze der Sichtbarkeit zur Unsichtbarkeit" (Dittmann, 1989) thematisiert, gehen in den Arbeiten dieser Werkperiode ein spannungsreiches Verhältnis ein. 1987 führt B. ein Stip. der Djerassi Found. nach Woodside/Kalifornien. 1990 Camille-Graeser-Preis. – B.s Werk baut auf den Trad. der konstruktivist. Kunst des frühen 20. Jh. auf und nimmt seinen Ausgang vom Neo-Konstruktivismus der 40er und 50er Jahre (Max Bill, Richard Paul Lohse) sowie der späteren Nouv. Tendance (Gianni Colombo, Gerhard von Graevenitz, François Morellet). B.s Werke zählen (nach Gomringer) v.a. deshalb zu den "reifsten Ergebnissen, welche die Entwicklung der konkreten Kunst auf ihrem langen Weg bisher erreicht hat", weil sie, ohne die systemat. Strukturkonzepte konkreter und konstruktiver Kunst zu verlassen, abstrakte Vorstellungen in ästhet. Anschaulichkeit überführen.
WERKE BERLIN, Neue Nat.-Gal., Graph. Slg. BOCHUM, Mus. BONN, Städt. Kunst-Mus. CHOLET, Mus. des Arts. GARS AM KAMP, Schloß Buchberg. GELSENKIRCHEN, Städt. Kunst-Slg. – VEBA-Hauptverwaltung. HAGEN, Karl Ernst Osthaus-Mus. HUMLEBAeK/Dänemark, Louisiana Mus. for Mod. Kunst. INGOLSTADT, Mus. für Konkrete Kunst. KAISERSLAUTERN, Pfalz-Gal. LÓDZ, Muz. Sztuki. LUDWIGSHAFEN, Wilhelm-Hack-Mus. LÜDENSCHEID, Städt. Gal. LÜNEN, Hansesaal (Fassade). MECKENHEIM-MERL, Bundeskriminalamt. MÖNCHENGLADBACH, Städt. Mus. Abteiberg, (Sammlung Etzold). MÜNCHEN, Städt. Galerie im Lenbachhaus. – Bayer. Staatsgemälde-Slgn. NEHEIM-HÜSTEN, Gymnasium Winterberg. PURCHASE, Neuberger Mus. of Art, State Univ. of New York (The George and Edith Rickey Coll. of Constructivist Art). RECKLINGHAUSEN, Städt. Kunsthalle (Slg Becker). REUTLINGEN, Stiftung für konkrete Kunst. SOEST, Boerde-Schule. TEL AVIV, The Tel Aviv Mus. of Art. ULM, Mus. WIESBADEN, Mus. WÜRZBURG, Städt. Gal. ZAGREB, Gal. Suvremene Umjetnosti.
SELBSTZEUGNISSE Projekt eines Serienobjekts, Nouv. Tendance, Zagreb, 1965, in: H.-P. Riese : B., Fritz, Krieglstein, M. 1969; European Relief-Structure Artists, The Structurist 11:1971, 70-79; Survey of Europ. and Brit. Constructed Relief Artists (Umfrage), The Structurist 17/18:1977/78, 101-117; Quadrat-Parallelogramm, in: Quad 1980(1); Ein Gespräch mit Monika Brandmeier, Kunstforum internat. 80:1985, 138-147; Progressioni verso l'infinito, Temporale. Riv. d'arte e di cultura 1985(8)7 s.; Transparency and Visual Ambiguity, The Structurist 27/28:1987/88, 99 ss.
AUSSTELLUNGEN E: (Auswahl): 1964 Emden, Kunst-Kab. / 1967-68 Frankfurt am Main, Gal. Fischer-Steinhardt / 1968 Berlin, Gal. Daedalus / 1968, '74 Köln, Gal. Reckermann / 1969, '73 Bochum, Gal. m / 1970 Genua, Gall. La Polena / 1973, '76, '83, '94 Stuttgart, Gal. Mueller-Roth / 1977 Berlin, Gal. Bossin / 1983-84 Essen, Folkwang-Mus. (Kat.) / 1985, '88 Antwerpen, Gal. Jeanne Buytaert / 1986 Hagen, Karl Ernst Osthaus-Mus. / 1987, '89, '92 Saarlouis, Gal. Walzinger; Kassel Kunst-Ver. / 1989 Kaiserslautern, Pfalz-Gal.; Turin, Ist. Alvar Aalto, Mus. dell'archit. e delle arti applicate / 1990 Apeldoorn, Van Reekum Mus.; Ludwigshafen, Wilhelm-Hack-Mus.; Ingolstadt, Mus. für Konkrete Kunst in der Städt. Gal. im Theater / 1991 Reutlingen, Stiftung für konkrete Kunst / 1992 Lüdenscheid, Städt. Gal. / 1993 Odense, Fyns Kunst-Mus. / 1995 Oberhausen, ver. für aktuelle Kunst; Lódz, Muz. Artystów. – G: Auswahl: 1964 Paris, Mus. des Arts Décoratifs : Nouv. tendance / 1967 Wien, Mus. des 20.Jh. : Kinetika / 1970-72 New York, The Art Gall. Albany : Constructivist Tendencies (Wander-Ausst.) / 1973 Mönchengladbach, Städt. Mus. : Programm, Zufall, System / 1977 Zürich, Kunsthaus : Aspekte konstruktiver Kunst / 1979-81 Buffalo, Albright Knox Art Gall. : Constructivism and the geometric tradition (Wander-Ausst.) / 1986 Humlebaek, Louisiana Mus. : Konstruktivisme; Tel Aviv, Mus. of Art : Trends in geometric abstract art / 1987 Ludwigshafen, Wilhelm-Hack-Mus. : Mathematik in der Kunst der letzten 30 Jahre / 1988 Kopenhagen, Charlottenborg : De Facto / Reutlingen: 1989 Stiftung für konkrete Kunst: Das Ende der Komposition; 1990 Linie, Fläche, Farbe / 1992 Essen, Mus. Folkwang : Geteilte Bilder – Das Diptychon in der neuen Kunst / 1993 Verviers, Mus. BA : Aspects actuels de la mouvance construite internat. und 1994 Antwerpen, Koninkl. Mus. voor Schone Kunsten / 1993 Lódz, Muz. Artystów : Construction in process IV / 1994, '95 Wolfsburg, Kunst-Ver. : Konstruktiv-konkret.
BIBLIOGRAPHIE J.Roh, Dt. Kunst der 60er Jahre : Malerei, Collage, Op-Art, Graphik, M. 1971, 164, 174; C.Barrett, An Introduction to Optical Art, Lo. 1971, 90, 97; W.Schmied, Malerei nach 1945 in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Ffm./B./W. 1974, 25, 111, 316; C.Barrett, Op Art, Köln 1974, 111, 115; P.Vogt, Dt. Kunst im 20.Jh., Köln 1976, 406; E.Gomringer, in: H.B. – Objekte und Zchngn (Kat. Gal. Bossin), B. 1977; W.Rotzler, Konstruktive Konzepte – eine Gesch. der konstruktiven Kunst, Z. 1977, 196 ss.; H.B. Arbeiten von 1959-1986 (Kat. Karl Ernst Osthaus-Mus.), Hagen 1986 (mit Ausst.-Verz. und Bibliogr. bis 1986); Hesse, 1987; K.v. Berswordt-Wallrabe, in: Progressionen gegen Unendlich (Kat. Kunst-Ver.), Kassel 1987; L.Dittmann, Progressionen gegen Unendlich (Kat. Pfalz-Gal.), Kaiserslautern 1989; H.-P. Riese, in: H.B. (Kat. Van Reekum Mus. und Wilhelm-Hack-Mus.), Nürnberg 1990; D.Bogner, ibid.; E.Gomringer, ibid.; U.Fleckner, in: H.B. : An Ort und Stelle (Kat. Ver. für aktuelle Kunst) Oberhausen 1995. – Mitt. des Künstlers.

Uwe Fleckner


Letzte Aktualisierung: 08.03.2011



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